Kampf der Giganten

Friedlich liegt der Platz des FC Spandau 06 am Ziegelhof, die Wellen der Havel schwappen sanft an die Uferböschung, das Flutlicht leuchtet den holprigen Rasen aus, ein kühler Wind zieht über die Anlage. Die Spieler der Ü 60 II des BSC trotten aufs Gras, sie werden hier gleich auf die Ü 60 des FC Spandau treffen, ein Bild, so idyllisch und unschuldig wie ein Kindergedicht.

Nichts deutet darauf hin, dass hier bald ein erbittertes Duell stattfinden wird. Ein Zweikampf im Verbogenen, mit aller Macht, mit allen Mitteln. Das idyllische Bild zwischen den Toren wird die ganze Zeit unschuldig bleiben. Der Kampf um jeden Zentimeter bei der brutalen Frage, wer am Ende Sieger bleibt, der wird am Spielfeldrand ausgetragen. Es ist das Duell von Peter S. mit Andi Hä.

Es beginnt mit Verzögerung, das Duell, erstmal konzentriert sich alles auf das Spiel. Spandau ist eigentlich als Gegner unterlegen, zu alt, zu unbeweglich, zu ungefährlich für den BSC. Nicht mal einen Auswechselspieler haben die Gastgeber. Das Spiel findet vor allem vor dem Tor der Spandauer statt und ist für den BSC so erfolgreich wie der Kampf von Bayerns SPD um die 10-Prozent-Marke bei der Landtagswahl. Fernschüsse gehen daneben, Pässe kommen nicht wirklich an, der Ball rollt vor allem durch die Mitte, wo sich die Spandauer Seniorencombo ballt wie die Demonstranten des Schwarzen Blocks am 1. Mai, wenn die Wasserwerfer spritzen. Die Torquote liegt erstmal bei null, bis, ja bis endlich mal Manni mit einem Distanzschuss trifft. 1:0, damit ist die Partie im Grunde genommen entschieden. Kurz darauf ein satter Schuss von Hans S, der Torhüter lässt abprallen, Hartmut bekommt den Ball, 2:0.

Damit beginnt das Drama.

Denn draußen, an der Auslinie, steht Peter S., verletzt, und deshalb, in Ersatzfunktion, bereit, alles genau zu protokollieren. Als Sekunden später Andi aus dem Spiel geht und sich an der Seitenlinie aufstellt, fragt ihn Peter geschäftig: „Wer hat die beiden Tore geschossen? „Manni und Hartmut", antwortet Andi, „Hans hat beim zweiten Tor zuerst geschossen, Hartmut hat den Abpraller aufgenommen." Peter legt seine Stirn in Furchen, in seinem Gehirn arbeitet es erkennbar. Sekunden später fragt er erneut: „Sag mal, wer hat die Tore denn nun geschossen? „Manni das erste und Hartmut das zweite", antwortet Andi beiläufig. Das Spiel nimmt ihn gefangen, Peters Fragen sind jetzt eher lästig. Peter zieht hörbar die Luft ein. Sekundenlang starrt er in die Ferne. Dann eine Frage, unvermittelt, tödlich wie der Schuss aus einer 45er Magnum: „Bist Du sicher?" Andi dreht den Kopf. „Wie, sicher? Natürlich bin ich sicher."

Peter starrt wieder in die Ferne, seine Gesichtsmuskeln zucken. Dann sein nächster Schuss, wieder ohne Ansatz abgefeuert, Jesse James am Ziegelhof. „Das glaub ich nicht."

Bleierne Stille am Spielfeldrand. „Ich glaube, Hartmut hat geschossen und Hans hat abgestaubt", sagt Peter nach einer fast endlos wirkenden Pause. „Und ich glaube, das erste Tor war von Christoph." Sätze wie Peitschenhiebe, trocken, aber wirkungsvoll, eine Anklage in zwei Sätzen. Schnallt Andi nicht, was hier abgeht? Andi beginnt nachzudenken, Peters Selbstsicherheit irritiert ihn. Doch bevor er antworten kann, trabt Wolfgang zur Seitenlinie und lässt sich auswechseln. Andi muss aufs Feld. Zwei Minuten später steht er wieder da und schickt den verblüfften Wolfgang zurück ins Spiel. „Ich habe nachgedacht", schleudert Andi schwer atmend Peter entgegen. „Du liegst falsch. Das erste Tor hat Wolfgang geschossen, das zweite Manni, er hatte den Abstauber von Ebi verwertet, ich bin mir ganz sicher."

Verächtliches Grunzen antwortet ihm. „Blödsinn", knurrt Peter. „Ebi war ja zu dem Zeitpunkt gar nicht auf dem Feld. Das erste Tor hat Manni geschossen, dann hat Christoph abgezogen, und Hans hat den Abpraller verwertet."

Auf dem Feld läuft das Spiel wie gewohnt. Der BSC hat weiter Feldüberlegenheit, schafft es aber nicht, die vielen Chancen zu verwerten. Spandau hat nur einen wirklich guten Spieler, einen hochgewachsenen Mann, der ab und zu vors BSC-Tor kommt. An der Seitenlinie hat sich Andi inzwischen im Vereinsheim einen großen Zettel und einen Kugelschreiber besorgt und malt nun genau die Wege des Balls vor dem zweiten Tor auf. Das Ganze ähnelt einer Anleitung für Strickmuster und am Ende der Linien hat Ebi den Ball ins Tor geköpft. Peter schnappt sich entschlossen den Stift, kritzelt seine Version und schafft damit den Beweis, dass Manni das zweite Tor nach Vorarbeit von Wolfgang geschossen hat. Das erste Tor hat selbstverständlich Hartmut geschossen. Andi ist beleidigt und verschwindet in der Toilette. Ein schriller Pfiff, Halbzeit.

Peter lehnt lässig an einem Torpfosten, Andi ist eingeschnappt abgetaucht, und der Rest hält Taktikbesprechung. Die zweite Halbzeit beginnt mit dem gleichen BSC-Übergewicht wie die erste geendet hat. Doch noch immer werden Chancen vergeben, haben Pässe zu wenig Druck, und Flanken sind zu kurz. Der BSC müht sich, schafft aber nicht das dritte Tor. Am Spielfeldrand beharrt Andi vehement darauf („Ich hatte Zeit zum Nachdenken, ich war ganz allein"), dass Ebi das erste Tor geschossen und Christoph dann die verunglückte Rückgabe eines Spandauer Verteidigers verwertet hat. Peter lacht höhnisch. „Du hast ja keine Ahnung. Denk doch mal nach. Ebi hatte doch selber den Abpraller verwandelt. Erst hatte er geschossen, dann ist er dem Ball hinterher, hat den Abpraller aufgenommen und dann das 2:0 erzielt. Und das erste Tor hat Hans geschossen, Du Ahnungsloser." Andi fixiert ihn, Blicke wie Laserstrahlen. „Ha", schnaubt er, „wer hat hier keine Ahnung? Wie soll Ebi ein Tor schießen, wenn er zu dem Zeitpunkt gar nicht auf dem Feld war? Hartmut hat den Abpraller verwandelt, Hans hatte geschossen. Und das 1:0 kam von Wolfgang." Peter tippt sich nur mit dem Finger an die Stirn.

Auf dem Feld hat der BSC endlich Erfolg. Christoph schießt mit einem schönen Distanzschuss das 3:0, am Spielfeldrand haben sich die Kombattanten immerhin darauf geeinigt, dass Manni das 2:0 geschossen hat, nachdem der Schiedsrichter den Ball abgefälscht hatte. Um das 1:0 gibt es weiterhin erbitterte Diskussionen. Andi schwört Bein und Stein, dass es ein Eigentor der Spandauer war. Peter dreht sich wütend ab und sagt: „Ich frag den Typen da." Der Typ da ist ein etwa fünfzigjähriger Mann, der in einem Kiosk neben der Tribüne Bier verkauft. Peter redet kurz mit ihm, dann brüllt der Typ Andi entgegen: „Ebi hat das erste Tor geschossen." „Du bist doch bestochen", brüllt Andi zurück. Der Typ zieht seinen Kopf zurück und zählt das Geld. Peter hat Mühe, die acht Becher Bier zu tragen, der er gekauft hat.

Auf dem Feld erzielt der BSC nach zähen Bemühungen doch noch das 4:0. Manni trifft aus spitzem Winkel wie einst Lothar Emmerich bei seinem berühmtesten Tor. Am Spielfeldrand haben Andi und Peter kein Auge für solche Nebensächlichkeiten. Andi ist bereit sein Auto zu verwetten, dass der BSC-Torhüter das 1:0 durch einen weiten Abschlag erzielt hat. Von der Version, dass Manni das 2:0 nach einem Abpraller vom Schiedsrichter erzielt hat, ist er wieder abgekommen. Jetzt ist er sich vollkommen sicher, dass das 2:0 ein Eigentor von Spandau war, nachdem ein Flitzer, der aufs Feld gerannt ist, den Ball zuvor abgefälscht hatte. Peter ist leicht benebelt von den sechs Bier, die er in kurzer Zeit in sich gekippt hat. Eigentlich will er erklären, dass der Flitzer schon das 1:0 geschossen hat, bringt aber nur einen Rülpser heraus.

Andi betrachtet das als Zustimmung zu seiner Version. Natürlich übernimmt er die Aufgabe, das Spiel freizugeben, Spandau hat ihn darum gebeten. Sorgfältig tippt Andi auf die Tasten, prüft nochmal seine Angaben, und drückte dann zufrieden: „Senden".

Auf fussball.de erscheint Sekunden später die Nachricht: Spandau 06 – BSC 0:2. Torschützen: 1:0: unbekannter Flitzer, 2:0: Andi „Ronaldo" Hä.

Frank B.

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